Interview: Herausforderungen während Covid-19

Corona stellt Firmen vor Herausforderungen, besonders wenn sie an den Kampf gegen das Virus beteiligt sind.  
Für neue Corona-Testsysteme kombinierten wir unsere patentierte Antriebstechnologie mit Polyamid-Fördertöpfen, die Schüttgutteile leise und präzise zuführen. Der Zeitplan war sehr eng gesteckt - von der Bestellung bis zur Lieferung der Zuführlösung vergingen weniger als drei Wochen. 

Was wir dabei gelernt haben, erzählen Helmut Niederer, Geschäftsführer von Afag Automation North America und Peter Vollmer, Leiter des Projekt Engineerings bei der Afag GmbH. Ein Interview über eine Produktionsherausforderung in Zeiten von Covid.

In welcher Zeit leben wir und welche Konsequenzen hat das?

Interviewer:
Wir haben uns ja schon einmal so ein bisschen darüber unterhalten, dass Sie sehr kurzfristig für die Firma Lanco Inc. und für deren Endkunden dabei geholfen haben, sehr schnell Corona-Teststreifen Kits auf die Straße zu bringen. Das ist ja ein relativ heißes Thema. Wie haben Sie denn die letzten Monate in Ihrem Beruf generell agiert? Wie geht man in solchen Zeiten gerade im Projektmanagement damit um, dass man vielleicht gar nicht oder nur wenige Tage nach vorne schauen kann?

Helmut Niederer:
Die Zeiten sind auf jeden Fall eine Herausforderung. Wir müssen viele Dinge noch einmal überdenken, die wir in der Vergangenheit anders angegangen sind. Wir müssen jetzt viel schneller agieren. Es hat sich aber gezeigt, dass wir die richtigen Mittel an Bord haben und zum ersten Mal gezwungen sind, sie zu nutzen. Plötzlich arbeiten wir mit unseren Tools, plötzlich spielt es keine Rolle, dass wir ein Unternehmen sind, welches verteilt auf den USA und Europa operiert – im Gegenteil, plötzlich nutzen wir hier zum ersten Mal unsere Chancen.

Peter Vollmer:
Ich habe die letzten Monate als eine Zeit erlebt, die von ausgesprochen agilem Handeln geprägt ist. Wir müssen permanent schnell entscheiden und reagieren. Hier entsteht sogar eine Horizonterweiterung für die Zeit nach Corona. Für uns sind Online-Meetings plötzlich das Gebot der Stunde und hier entsteht eine Kommunikationsqualität, die auch später sehr nützlich sein wird.

Interviewer:
Es ist also ein bisschen so, dass „virtuelle Lagerfeuer“ – eigentlich eine Möglichkeit die es seit Jahrzehnten gibt – ihnen trotz der schwierigen Lage dabei helfen, Projekte gut, vielleicht sogar besser durchzusteuern?

Peter Vollmer:
Es ist fast schon ein bisschen trivial, aber genauso ist es. Wir hatten schon immer ein gutes Projektmanagement, aber Corona und insbesondere das Projekt, über das wir gleich reden werden, haben uns gezwungen besonders effektiv und effizient vorzugehen. Und hier können eben ganz einfache Mittel helfen. Ich bin schon fasziniert, wie hoch gerade die Meeting-Disziplin ist, egal ob intern oder im Umgang mit unseren Kunden.

Helmut Niederer:
Dem schließe ich mich an. In einem harten Projektumfeld gilt es sogenannte Totzeiten zu vermeiden. Und das gelingt uns gemeinsam gerade ganz gut. Auch hier sehe ich, dass wir in Krisenzeiten effektiver und effizienter kommunizieren, was die Abstimmung deutlich erleichtert.

Interviewer:
Sehe ich das richtig, dass in chaotischen Zeiten, in denen Projekte sehr schlecht geplant werden können, sie besser gesteuert werden müssen?

Peter Vollmer:
Absolut. Und vor allen Dingen müssen sie pragmatischer gesteuert werden und hier ist die persönliche Kommunikation ganz entscheidend. Früher hat man E-Mails geschrieben und vielleicht tagelang auf eine Antwort gewartet. Jetzt tauschen wir uns sofort in einer entscheidenden Runde aus und sind somit handlungsfähig. Hier merkt man, die Home-Office-Thematik hat nicht nur Nachteile. Wir gewöhnen uns daran, Entscheidungen schneller und vor allen Dingen gemeinsam zu treffen. Das schafft eine solide Arbeitsgrundlage – auch bei Projekten unter Unsicherheit.


Reden wir über das Lanco-Projekt

Interviewer:
Vielleicht wollen wir ein bisschen näher auf jenes Projekt eingehen, das hier zur Diskussion steht. Es scheint ja dafür geeignet zu sein zu diskutieren, dass wegen der aktuellen Krisensituation außergewöhnliche Projekterfolge möglich sind. Was hat das sogenannte Lanco-Projekt denn ausgezeichnet?

Peter Vollmer:
Vielleicht schildere ich kurz, was überhaupt die Aufgabe war. Der Endkunde brauchte in kürzester Zeit Covid19-Testequipment, um darauf zu reagieren, dass die Covid-Testkapazitäten in den USA massiv ausgeweitet werden mussten. Unser direkter Kunde musste dazu in kürzester Zeit montierte Diagnostik-Einwegteile liefern. Dabei war die Aufgabe von Afag, automatisierte Zuführungen für die Montageanlagen zu liefern, die jetzt dazu beitragen, dass dieses Diagnostikequipment produziert werden kann. Die besondere Herausforderung bestand für mich insbesondere im Zeitdruck, der aber auch zusätzlich die Komplexität erhöhte. Beispielsweise sind wir dringend auf Musterteile jener Teile, die später in der Produktion beziehungsweise in den Prozessen unserer Endkunden verwendet werden, angewiesen, um unsere Zuführungen zu entwickeln, zu konfigurieren und zu testen. In diesem Fall sorgte die Zeitnot dafür, dass dieser wichtige Eingangsparameter teilweise gar nicht oder erst sehr spät zur Verfügung stand. Dadurch mussten immer wieder Annahmen getroffen werden, die es im Laufe des Projektes agil zu verifizieren und zu korrigieren galt.

Helmut Niederer:
Aus meiner Sicht war das Projekt von drei Risikofaktoren gleichzeitig geprägt. Die Zeitschiene war äußerst knapp, wir hatten ähnliche Dinge schon mal gemacht, aber eben nicht in dieser Zusammensetzung. Und wir haben für einen neuen Endkunden gearbeitet. Hinzu kam, dass der Endkunde uns zunächst kritisch gegenüber eingestellt war. Ihn trieb die Sorge, dass ein lokal in den USA aufgestellter Zuführungsbauer/Komponentenlieferant ihn in seiner hohen Zeitnot gegebenenfalls besser unterstützen könnte.

Interviewer:
Gehen wir noch mal auf die knappe Zeitschiene ein.

Helmut Niederer:
Naja, bei einem solchen Auftrag kann man durchaus von einer Projektdauer von zwölf, in einem ungünstigen Fall bis zu 24 Wochen ausgehen. Wir haben in drei Wochen geliefert. Zugesagt hatten wir übrigens sechs Wochen und das ist schon äußerst sportlich.

Peter Vollmer:
Jetzt sieht man schon, wo es lang geht. Bei solchen Rahmenbedingungen muss man das Letzte aus Projektsteuerung und Projektleitung herausholen. Hier ist es zentral, dass man wirklich nirgendwo etwas liegen lässt. Das ist insbesondere deshalb wichtig, da man vor projektkritischen Hürden mitten im Projekt ja nicht gefeit ist, nur weil man besonders schnell sein möchte. Hier gilt es, konstant am Ball zu bleiben.

Interviewer:
Wie klappt so etwas?

Peter Vollmer:
Sehen Sie, hier kommen wir wieder auf unser Kommunikationsthema zurück. Wir haben im Projekt extrem darauf geachtet, allen Beteiligten täglich die Teilergebnisse in Form von geteilten Layouts, Videos und Bildern per Liveschaltung zu zeigen und ihr direktes Feedback einzuholen.  Das fördert das gemeinsame Verständnis, minimiert Missverständnisse und führt dazu, dass wir gemeinsam schnell Entscheidungen treffen konnten, die dann eben auch tragfähig waren. So haben wir oft gemeinsam schnell Hürden überbrückt, die sonst zu aufwändigen Abstimmungsschleifen geführt hätten. Wichtig war auch, dass wir in unseren Abstimmungen immer gleich über Lösungen diskutiert haben und Alternativen diskutieren konnten. Sonst wäre eine so effektive Steuerung unmöglich gewesen.


Was sind denn bei so einem Projekt die Erfolgstreiber?

Interviewer:
Jetzt kann man ja langsam begreifen, wo die Erfolgstreiber in diesem Projekt lagen.

Helmut Niederer:
Richtig, der erste ist ja ganz entscheidend: Wir haben sauber und konstruktiv miteinander diskutiert, obwohl wir uns noch nicht so gut kannten. Wir haben die persönliche und regelmäßige Kommunikation konsequent in den Vordergrund gestellt …

Peter Vollmer:
… und dabei eben immer konstruktiv nach vorne geschaut. Aber gerade, da wir immer – ich hatte das gerade erwähnt – anhand konkreter Lösungsszenarien diskutiert haben, fiel es uns auch besonders leicht, uns pragmatisch zu fokussieren. Das Lastenheft war gut, aber im Verlauf der Konstruktionsphase entstehen immer Abwägungsentscheidungen, über die man gemeinsam mit seinem Kunden diskutieren muss: „Was ist denn hier besonders wichtig? Eine einfache Umsetzung oder eine präzise Umsetzung von jenem, was ursprünglich eingefordert war?“ Das kann für unterschiedliche Sachverhalte dann eben auch unterschiedlich ausfallen. Hier hatten wir einen Kunden, der gemeinsam mit uns schnell herausgearbeitet hat, wo die Prioritäten wirklich lagen.
Das wird vor allen Dingen dadurch möglich, indem man besonders transparent arbeitet. Wir haben den Kunden konsequent auf unserer Reise mitgenommen und permanent Bilder gemacht. Letztendlich war das nicht nur äußerst effizienzfördernd, sondern auch eine entscheidende, vertrauensbildende Maßnahme. Es zeigte sich eben dann, dass wir den erheblichen Vertrauensvorschuss, den wir genossen hatten, nicht verspielten, sondern im Gegenteil gemeinsam etwas Gutes entstand.

Helmut Niederer:
Richtig, wir konnten gemeinsam konsequent darauf hinarbeiten, dass die Anlage später unter den eingeforderten Qualitätsstandards funktionieren wird, und dass sie ebenso schnell wie möglich fertiggestellt wird. Hier haben wir sehr viele weniger wichtige und entscheidende Elemente – gemeinsam – über Bord geworfen.

Peter Vollmer:
Wir reden ja immer wieder über das Thema Kommunikation. Ich glaube, es war bei diesem Projekt ganz besonders hilfreich, dass in jeder Entscheidungssituation die richtigen Leute mit an Bord waren. Das bedeutet, wir waren zu jeder Zeit entscheidungsfähig.

Helmut Niederer:
Auf einen weiteren Aspekt bin ich stolz. Früher hatten wir immer das Gefühl, der Faktor, dass unsere Betriebsstätten mitunter durch einen großen Teich getrennt sind, ist eher so etwas wie ein Hemmschuh. Diesmal haben wir das zu unserem vollen Vorteil genutzt. Wenn sich unsere Kollegen in Europa abends schlafen gelegt haben, wurde in den USA weitergearbeitet – und umgekehrt natürlich auch. Auch das hilft natürlich dabei, Totzeiten zu vermeiden. Hier gehe ich übrigens davon aus, dass wir über ein Learning reden, dass sich auf andere Projekte übertragen lässt. Gegebenenfalls haben wir hier sogar einen unsichtbaren Wettbewerbsvorteil, den wir nun zum ersten Mal nutzen konnten.

Interviewer:
Eigentlich reden wir ja hier über Faktoren, die verhältnismäßig einfach auf andere Projekte übertragen werden könnten, da sie sich weniger mit dem Inhalt des Projekts, sondern eher mit sauberem Management, mit klarer Steuerung und mit einem guten Umgang miteinander beschäftigen, richtig?

Beide:
Absolut!

Helmut Niederer:
Es gibt natürlich schon besondere Erfolgsfaktoren, die nicht ganz so einfach zu übertragen sind. Es war ganz erheblicher politischer Druck auf dem Kessel. Bis hoch zum US-Präsidenten waren alle der Meinung, wir brauchen diese Testgeräte – und zwar jetzt. Das ist natürlich dann schon eine besondere Situation. Da wird dann durchaus auch mal auf Board-Ebene telefoniert, um sicherzustellen, dass einem solchen Projekt die entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet wird.


Peter Vollmer:
Stimmt. Aber der Ernst der Lage hat uns natürlich vor allen Dingen einen internen Motivationsschub gegeben. Wir haben ja permanent in den Zeitungen gelesen, es gibt mehr Kranke, es gibt mehr Tote. Da wollte natürlich jeder helfen – das ist schon ein besonderer Push. Bei diesem Projekt ist eindeutig über die gesamte Lieferkette hinweg das Gefühl entstanden, „Wir sind hier alle im selben Boot“. Da entsteht dann natürlich ganz besondere Dynamik.

Helmut Niederer:
Stimmt, jeden Tag war es in der Presse und auf jeder Mediaplattform das Hauptthema. Und da spürt man auf emotionaler Ebene eine Identifikation, die wir alle vorher noch nie gekannt haben.


Was lässt sich daraus lernen?

Interviewer:
Jetzt haben wir gerade Faktoren beleuchtet, die gegebenenfalls auf andere Projekte übertragbar sind. Zum anderen haben wir natürlich hier mit diesem Covid-Projekt eine ganz besondere Herausforderung. Welche zentralen Learnings sind denn aus ihrer Sicht übertragbar? Gibt es etwas, das Sie vielleicht sogar Ihren Kollegen mitgeben möchten?

Helmut Niederer:
Zuerst einmal ist interessant, dass hier trotz erheblichen Herausforderungen keine klassischen „Lessons Learned“ entstanden sind. Es gibt eigentlich kaum etwas, was wir beim nächsten Mal anders machen würden. Zu einem großen Punkt – das hat Herr Vollmer ja mehrfach erwähnt – geht es um Kommunikationsqualität. Und auf die kann man eigentlich immer achten. Ich glaube, diese Dynamik haben wir insbesondere deshalb positiv verwandeln können, weil wir immer offen und transparent waren – und weil wir uns eben regelmäßig ausgetauscht haben. Ich hatte anfangs das Thema Totzeit erwähnt. Hier sehe ich den Schlüssel, um Projekte sauber und effizient durchlaufen zu lassen.

Peter Vollmer:
Völlig richtig, die digitalen Möglichkeiten, diese Kommunikation durchzuführen waren eigentlich schon lange vorhanden. Vielleicht gab es hier vor Corona mentale Scheuklappen. Jetzt, wo wir dieses Niveau des Austauschs erreicht haben, werden wir das sicher nicht wieder einreißen lassen und auch im Umgang mit anderen Kunden üben.

Interviewer:
Gibt es dennoch weitere Erfolgsfaktoren, die übertragbar sind?

Peter Vollmer:
Absolut. Wenn ich meinen Kollegen ein Learning mitgeben darf, dann ist es die Tatsache, dass gerade in einem sehr dynamischen Umfeld die Projektleitung sehr ernst genommen werden muss. Je mehr zu steuern ist, desto weniger ist das ein Nebenjob. Aber eine ernst genommene Projektleitung mit einer guten Projektkommunikation sorgt eben für jene Agilität, über die sonst oft nur geredet wird.

Helmut Niederer:
Abschließend vielleicht ein bisschen philosophisch: Gute Kommunikation entsteht natürlich auch dadurch, dass man zuhört. Hierdurch entsteht – und das war bei unserem Corona-Projekt ganz deutlich zu spüren – eine Grundvoraussetzung für gemeinsames Verständnis und somit eine solide Projektgrundlage. Das ist eigentlich auf alles übertragbar, was wir so tun.

Interviewer:
Vielen Dank für dieses interessante Gespräch.

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"Plötzlich bemerken wir unser schlummerndes Potential". Helmut Niederer, Geschäftsführer der Afag Niederlassung Nord Amerika. "Wir sitzen im selben Boot".